Eigentlich wollten wir heute zurück nach Seoul, aber der Park hat es uns sehr angetan, trotzdem er so arg touristisch ist. Die Berge sind wunderschön, und die Wanderung hat uns einfach nur glücklich gemacht. Der Wetterbericht sagt heute früh nur noch bewölkt, Regen soll es nicht geben. Ein Blick aus dem Fenster über das Meer bestätigt das, also gehe ich runter, um das Zimmer eine Nacht zu verlängern. Dummerweise ist niemand zu finden, und so buche ich einfach über die gute CHECK24-App eine weitere Nacht.

Per Taxi kommen wir wieder zum Eingang des Nationalparks und werden vom Bären begrüßt, und von der ostasiatischen Widersprüchlichkeit aus "Wir sind alle süß und putzig" und "Wir haben die mächtigste und prächtigste Armee der Welt".




Auf dem Weg am dicken Buddha vorbei schauen wir uns heute den Tempel daneben an, sehr friedfertig ist es auch hier nicht. Der ganze Park ist übrigens fest in der Hand der buddhistischen Kirche (oder wie man den Konzern auch nennt).




Es geht sehr moderat ansteigend am Fluss entlang, einem anderen Arm des Yongcho-cheong folgend, bis uns ein Eichhörnchen den Weg blockiert. Wir werden eingehend inspiziert und nach zu verzollenden Essbarem gefragt. Da wir wissen, was sich gehört ("Niemals wilde Tiere füttern!"), dürfen wir passieren. In diesem Land sind sogar die Zollbeamten putzig!



Immer lauter ertönt ein monotoner, blecherner Singsang. Noch eine Tempelanlage, und der Priester wurde hier wegrationalisiert und durch eine Bandaufnahme aus einem Lautsprecher mit extrem schlechter Qualität ersetzt. Und so schalmeit uns eine Schleife aus Gong und uninspiriert heruntergebetetem Singsang verrauscht in hoher Lautstärke an.
Nur 500 Meter weiter ist eine Ansammlung aus über 5 Meter hohen Granitblöcken, in die ein weiterer Tempel gebaut ist. Es geht jetzt deutlich steiler über unregelmäßige Steinstufen hinauf, und kurz nach der letzten Toilette gibt Gabi auf. Es nieselt seit einer halben Stunde, und es ist deutlich kälter als gestern. Sie kehrt um, und wird unten im Café auf mich warten.







Die Aussichtsplattform war ziemlich rutschig, am Geländer hängend ziehe ich mich nach oben. Irgendein spanischsprachiger Ignacio (Spitzname Nacho) findet sich so wichtig, dass er einen Aufkleber (Nacho aka Nacho TM was in your home) ans Geländer geklebt hat. Kinder …
Die Felsen des Ulsanbawi sind fast senkrecht, und so wird auch der Weg exponentiell steiler, bis aus den Stufen eine Stahltreppe wird, die sich in Serpentinen an die Felswand schmiegt. Der Regen wird stärker und kälter, ich sehe immer weniger, weil die Brille von außen voller Regentropfen ist, und innen beschlagen. Am Nachbarberg hat es heute Nacht geschneit, und so viel höher oben ist das nicht.





Schritt um Schritt geht es die Stufen nach oben, die Pausen werden länger und häufiger. Entgegenkommende muntern mich auf: "Almost there! You can do it!", aber der Ehrgeiz hat mich sowieso längst gepackt: Ich will da oben ankommen, auch wenn es nass und kalt ist, und ich die nutzlose Brille inzwischen in der Tasche verpackt habe.





Kurz vor dem Gipfel fängt es an heftig zu winden, eine Windböe schlägt den Jackenkragen an meinen Kopfhörer und der macht sich selbstständig und purzelt ein halbes Dutzend Stufen herab, doch wie durch ein Wunder bleibt er auf der Treppe liegen und fällt nicht in die Felsspalte darunter. Man muss auch mal Glück haben!
Bis auf die Unterwäsche nass ist es am Gipfel angekommen sehr ungemütlich, der kalte Wind und die Tatsache, dass der Regen erst wenige Meter über uns geschmolzen ist, lassen mich schlottern. Auf die Steine an der Aussichtsplattform traue ich mich nicht, es ist nass und glatt. Zwei junge Frauen sitzen an der einzigen regengeschützten Stelle, aber zu meiner Erleichterung brechen sie kurz nach meiner Ankunft auf. So kann ich mich dort hinsetzen, meine Jacke ausschütteln und einen Schokoriegel und einen Apfel zur Stärkung für den Rückweg essen.





Nun gilt es die 500 Meter Treppenstufen wieder herunterzusteigen, und dabei die als Umhang über Schultern und Rucksack gelegte Jacke nicht vom Wind herunterreißen zu lassen. So deutlich sehe ich erst jetzt beim Sichten der Fotos, wie es dort aussah, denn ohne Brille und mit zusammengekniffenen Augen war ich blind für die Schönheit der Umgebung.

Interessant übrigens, wie sich auf den Kämmen der Rippen unten im Tal ein grünes Band entlang zieht, die Flanken jedoch braun sind. Das liegt vermutlich daran, dass es ganz oben durch den Wind unwirtlicher ist, es gibt weniger schützenden Schnee im Winter und im Sommer fließt das Wasser schneller an, und fruchtbare Erde wird von Wind und Erosion abgetragen. Das halten nur Nadelbäume aus, während an den Flanken Laubbäume dominieren, die jetzt am Ende des Herbstes kahl sind.
Schritt für Schritt geht es mühsam bergab, die Knie knacken, aber es ist windgeschützter, und mit jedem Höhenmeter wird es ein kleines bisschen wärmer.
Zwischen 1500 und 2000 Stufen später kommt erneut die Zone, wo man über unregelmäßige Steinstufen seinen Zickzackpfad suchen muss, und am Ende des steilen Bereiches kommt tatsächlich die Sonne heraus. Der Wind hat die Regenwolken weggeschoben, und ich ziehe meinen Jackenumhang aus. Einerseits, weil ich ihn schon zwei Mal nach einer Böe vom Boden aufheben musste, andererseits um meine Kleidung darunter zu trocknen.
Das Zoll-Eichhörnchen ist immer noch da, ignoriert mich aber, denn es verzehrt gerade einen Leckerbissen: Frisch aus dem Boden gezogenen Regenwurm. Guten Appetit, mein Freund!





Endlich, nach 4,5h und 750 Höhenmetern, erreiche ich die Talstation, wo Gabi mich erwartet. Im Restaurant gibt es eine Art Kartoffelpuffer und das koreanische Standardgericht "Bibimbap" – Reis mit Gemüse und einem Spiegelei, das mit würziger Sauce verrührt wird.
Im Hotel angekommen erwartet uns die wütende Herbergsmutter und herrscht uns auf Koreanisch an. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich sie nicht verstehe, aber sie zetert einfach weiter. Mittels Übersetzer erkläre ich ihr, dass wir eine Folgebuchung haben. Sie schimpft, dass wir sofort hinausmüssen, neue Gäste kommen, und sie muss das Zimmer fertig machen – bis sie versteht, dass wir die alten und neuen Gäste sind. "Dann geht halt hoch" sagt sie noch in mein Handy, dann dreht sie sich um und trabt ab.
Erschöpft wärme ich mich unter der Dusche auf, und falle dann ins Bett, wo mich Morpheus sofort in seinen Bann zieht. Eine Stunde später weckt mich die Beste aller Frauen: "Chop, Chop! Aufstehen! Wir gehen jetzt in die Einkaufsmeile, ich muss Mitbringsel kaufen!"
Stöhnend raffe ich mich auf, und wir laufen über die Doppelbrücke etwa vier Kilometer bis zur Shoppingmeile. Hier am Meer ist es auch böig und kalt, aber die Wolken bleiben am Gebirge hängen.
Die Hauptstraße ist weihnachtlich geschmückt, und überall dröhnen die üblichen amerikanischen Adventsklassiker.






Interessant ist, dass hier nicht nur Werbung auf den Boden projiziert wird, wir haben im Süden des Landes sogar gebeamte Verkehrsschilder gesehen.
Nachdem eine prall gefüllte Einkaufstasche erworben, will ich jetzt doch mal wissen, wie koreanische Burgerbrater schmecken, und wir setzen uns in die Lotteria. Lotte ist für Südkorea, was Corte Inglés für Spanien ist: Von Wohnburgen über Einkaufsketten, Supermärkte, Burgerbrater bis zum Vergnügungspark hat der Konzern alles im Angebot. Die Burger sind tatsächlich deutlich über McDonalds-Niveau, aber das Ambiente ist ziemlich ähnlich.

Jetzt müssen wir die Mitbringsel und das im 24h-Supermarkt gekaufte Frühstück für morgen nur noch nach Hause tragen, und damit endet der Tag mit 32.000 Schritten auf meiner Uhr und schmerzenden Knien, aber ich bin stolz auf mich und zufrieden, das geschafft zu haben.


