Unterwegs

Immer auf der Suche nach dem noch nicht Gesehenem

Crossing the Minch

So schnuckelig und schön unser B&B ist, und so nett die Besitzer, so klein ist auch das Bett. Wir wecken einander mehrfach heute Nacht, und ich bin in der Früh ein wenig gerädert. Als die Äuglein endlich aufgehen, erblicken sie noch aus dem Bett bereits eine tolle Aussicht, und schon bin ich mit mir im Reinen.

Das Frühstück bekommen wir in einem Doggy Bag, und es reicht, um eine Garnison zu ernähren. Wir verspeisen einen Teil davon auf halber Strecke zur Fähre, auf der Passhöhe auf dem Quiraing, bei bester Aussicht über die Staffin Bay.

Es ist so leise, man hört die Schafe von unten in Staffin bis hier oben. Wenn die Fähre nicht gebucht wäre, würde ich jetzt die Wanderroute hier laufen. Ein paar Birdwatcher, die wir gestern schon zweimal gesehen haben, sind auch schon hier, mit Fernstechern auf Stativen.

Die single track road geht jetzt über die Hochebene und langsam zur Westküste. Neben der Straße steht ein BMW, der schon bessere Zeiten gesehen hat, ansonsten Schafe und mehr Schafe. Die Hafenstadt Uig hatte ich mir größer vorgestellt, es sind aber nur ein paar Dutzend verstreute Häuser.

Alle Gäste sind überpünktlich, und so legt die Fähre 5 Minuten vor der geplanten Zeit bereits ab. Ziel: Tarbert auf Harris and Lewis, der größten Insel der äußeren Hebriden. Die Insel hat zwei Namen und ist geologisch wie politisch geteilt. Harris, der südliche Teil, ist bergig und rau. Lewis ist moorig und flacher. Beide Teile werden seit fast einem Jahrtausend von zwei unterschiedlichen Linien des McLeod Clans beherrscht, die Lewis McLeods wurden allerdings um 1600 von den McKenzies besiegt und Lewis übernommen.

Noch heute sieht man den Namen McLeod überall, mir scheint jeder kleine und größere Betrieb ist in den Händen des Clans.

Die Überfahrt auf die Insel über die Meerenge „The Minch“ ist absolut problemlos, immer wieder blinzelt die Sonne durch, und es sind weder Wind noch Wellen auf der Speisekarte.

Der Unterschied zwischen den „normalen“ Farben bei Wolkenschatten und „extra-vibrant photoshop 120%“ ist eklatant, als wir in ein Wolkenloch kommen:

Die Fähre ist nicht riesig, aber es braucht immerhin 32 Seeleute, um sie zu betreiben. Es gibt auf britischen Fähren eine Tafel, wo jeder Seemann sich mittels eines Schiebeschildes als „In“ anmelden muss. Heute sind alle anwesend. Ein paar wuseln vor dem Anlegen am Vordeck herum.

Über die Berge von Harris fahren wir erst einmal nach Lewis rüber, das Loch Shiphoird liegt an der Grenze zwischen den beiden Inselhälften. Kaum sind wir in Lewis reißt die Wolkendecke auf, und die allgegenwärtigen „Gorse“-Büsche (britischer Ginster, stachelig, mit schönen gelben Blüten) leuchten auf.

Wir halten in der Hauptstadt von Lewis, Stornoway, und wollen Mittagessen. In den Pubs findet man zu Mittag nur schwere Alkoholiker mit heftig zitternden Händen, wir laufen die Fußgängerzone mehrfach auf und ab, und landen mangels Alternativen in einem billigen Fish & Chips-Imbiss. Ich habe die Nase schon voll davon, und Gabi jetzt auch – der Haddock (Schellfisch) liegt ihr den ganzen Tag schwer im Magen.

Von hier geht es nun auf einem alten Moorweg, der in eine enge, wellige Straße verwandelt wurde, auf die westliche Inselseite. Ich muss häufiger wegen Schafen als wegen Gegenverkehr ausweichen, dafür sind die Schafe aber wenigstens cool drauf: mit Punk-Frisur und kessem Blick!

Am anderen Ende des Moorwegs liegt das Gearrannan Blackhouse Village. Ein paar ursprüngliche Häuser wurden hier erhalten und in ein Museum / Hotel umgewandelt. Eigentlich ist noch geschlossen (es ist weiterhin nicht Saison), aber eine furchtbar nette Angestellte freut sich über unser Interesse und gibt uns eine Privattour. Wir fühlen uns sehr privilegiert und erfahren, wie die Menschen hier früher lebten. Hint: Es war nicht besonders luxuriös und chillig …

Von außen sind die Häuser praktisch und sehen nicht sehr ärmlich aus, aber innen ist es eng und gedrängt, und die Hälfte des Hauses ist für das Vieh reserviert. Die andere Hälfte teilt sich das Wohn-/Schlafzimmer für die Eltern und das Arbeitszimmer für die Frau mit den Kinderbetten.

Schwer vorzustellen, wie friedlich und harmonisch es ist, wenn im Winter ein Sturm die Familie zwei oder drei Wochen am Verlassen des Hauses hindert.

Zu Essen gab es vermutlich hauptsächlich Schaf und Fisch, die Bucht, an der die Fischerboote ankerten, liegt gleich unterhalb des Ortes.

Geheizt wurde damals wie heute mit Torf, der aus den allgegenwärtigen Mooren gestochen wurde. Wir sehen das hier neben vielen Häusern trocknen.

Zurück geht über die breitere Hauptstraße, nach ein paar Minuten erreichen wir Callanish. Hier gibt es mehrere Steinkreise aus mannshohen Menhiren, um die 5000 Jahre alt. Es gibt eine Legende, dass es sich um böse Einheimische handelt, die den christlichen Missionaren nicht folgen wollten und zur Strafe von dem gutmütigen und liebevollen Gott in Stein verwandelt wurden. So unwichtige Details wie, dass die Steine 4000 Jahre vor Eintreffen der Missionare aufgestellt wurden, ignorieren Menschen, die an sprechende brennende Büsche glauben, problemlos weg.

Die Bronzezeit-Menschen, die die Menhire aufgestellt wurden, haben etwa 2000 vor Christus die Hebriden verlassen oder sind ausgestorben, vermutlich weil das Klima zu dieser Zeit kälter und rauer wurde.

Kalt und rau ist es heute ganz und gar nicht, im Osten ist kein Wölkchen mehr zu sehen, und während wir mit höchster Konzentration versuchen, nicht im Moor zu versinken, wird plötzlich alles wieder grell und überzeichnet.

Wir versuchen, den schlammigen Weg zurück zum Auto zu vermeiden und steigen über Weidezäune auf Privatgelände. Dort ist es aber kaum besser, und heute ist es die Göttergattin, die bis zum Knöchel im Schlamm stecken bleibt und mit nassen Socken weiter läuft.

Ein paar Kilometer weiter gibt es noch einen Steinkreis, aber hier geben wir schnell auf: Ohne Gummistiefel ist nur barfuß eine Option. Obwohl es zweistellige Temperatur hat und die Sonne angenehm heizt, verzichten wir auf diese Option. Lieber in Stornoway noch das Great War Memorial besuchen, einen Wachturm auf dem Hügel oberhalb der Stadt. Von hier hat man fantastische Aussicht nach Skye rüber, aber auch weiter nördlich bis zum Mainland.

Bevor wir dort ankommen, kommen wir an dem kleinen See mit Insel vorbei, der mir am Vormittag schon aufgefallen ist. Das Loch Lathamul direkt neben der Landstraße ist entzückend!

Das B&B, das weniger teure der beiden Hotels auf der ganzen Insel, das freie Zimmer hat, ist picobello und hat ein schönes breites Bett – ich freue mich schon darauf! Doch vorher gehen wir noch ins Pub. Das Publikum ist weniger alkoholkrank im Endstadium, aber auch nicht besonders enthusiastisch. Es läuft Fußball, doch die meisten Gäste sitzen alleine am Tisch und starren unbeweglich wie Puppen auf ihr Bier. Heute kein Small Talk, nach dem obligatorischen Cider & Whisky ziehen wir uns ins B&B zurück. Whisky of the Day: Whyte & Mackay, ein blended Whisky aus Glasgow ohne besondere Merkmale. Kann man trinken, muss man aber nicht.

Ach ja: auch heute wieder sternenklar. Drei Nächte am Stück – jetzt wird es unheimlich!

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