Gestern Abend konnte ich tatsächlich mal wieder ein bisschen Akku laden, und freue mich darauf heute ein wenig flotter unterwegs zu sein. Aber egal was ich am Display rumdrücke, der Motor aktiviert sich nicht. Und schon wieder zum Fahrradladen. Der schließt das Rad an und liest den Fehlerspeicher aus – der ist prall gefüllt. Ohne Schlüssel kann er aber nichts machen.
Ok, bevor ich den Motor komplett schrotte, sollte ich jetzt zügig nach Hause. 80km zum Auto, und hier ist es nicht mehr so platt wie um Leipzig. Das wird eine Aufgabe!
Dennoch will ich mir das Schloss von Merseburg erst anschauen, aber man kommt nicht wirklich ran um es in ganzer Pracht zu überblicken. Also nur ein Ausschnitt hier:
Etwas südwestlich von Merseburg sind ein paar Seen, ehemaliger Braunkohletagebau. Der Größte ist der Geiseltalsee, an dessem steilen Südufer ich entlang fahre. Die Aussicht ist schön, am Liebsten würde ich jetzt zum Hafen runter fahren, mir so ein Töfftöff mieten und mich in der Mitte des Sees von der Sonne brutzeln lassen.
Aber nicht alle sind glücklich, eine entzückende Käferdame wurde anscheinend von Ihrem Bräutigam alleine gelassen, und steht nun ganz alleine traurig am Parkplatz!
Aber nicht nur Autos bekommen hier menschliche Züge, auch manche Häuser scheinen lebendig. Ganz in guter Stasi / NSA / Facebook-Tradition wird das Geschehen aufmerksam und kritisch beäugt.
Gestartet bin ich auf 80m über NN, es geht nun sanft aber stetig bergauf auf 300m. Leider wieder viel über Landstrasse – was für ein Gefühl, wenn so ein 40-Tonner mit 20cm Abstand mit 100km/h an Dir vorbei donnert! Und so bin ich immer froh, wenn es auch mal auf die kleinen Strassen und Wege geht.
Die Dörfer hier sind schön und gepflegt, jedoch viel zu oft mit Kopfsteinpflaster ausgestattet.
In Steigra ist der Anstieg zuende, jetzt werde ich mit tollem Panorama über das Tal der Unstrut belohnt. Zwischen Unstrut und Saale ist das Sachsen-Anhaltiner Weingebiet, ich bin jedoch ein Stück weiter nördlich.
Wie ein Hund, der aus dem Autofenster kuckt brause ich mit flatternder Zunge den Berg herunter!
Während die Bahn einfach über das Tal fliegt, muss ich auf der anderen Seite wieder hoch. 200 Höhenmeter geht es steil bergauf, jetzt flattert die Zunge nicht mehr, aber sie hängt bis zu den Speichen runter.
Und weil das noch nicht reicht, geht es erst einen pockennarbigen Feldweg hoch, der dann zu einem mit Kopfsteinpflastern ausgelegten Feldweg wird. Was haben die Leute hier nur mit diesen blöden Kopfsteinpflastern? Verboten gehört das!
Das ist ja nicht nur Erbe der "sozialistischen" Diktatur, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hier einige Strassen gesehen habe, die neuer als 30 Jahre sind. Wieso baut man neue Strassen mit Kopfsteinpflaster? Ist das Ostalgie oder einfach nur sadistischer Menschenhass? Nach 2km steilem Wackel-und-Schüttel-Tortur schmerzt der Nacken fast so wie der Hintern, und ich habe eine Stinkwut und schimpfe wie ein Rohrspatz.
Die halbe Strecke ist geschafft, noch 40km. Es geht durch scheinbar endlose Felder, und durch winzigste Dörfer. So langsam würde ich gerne mal einkehren, aber hier gibt es weder Gaststätten noch Läden. Nach weiteren 20km bergauf/bergab und mit inzwischen recht kräftigem Gegenwind erreiche ich den Ort Finne, hier ist endlich eine Wirtschaft mit Getränkemarkt.
Ups, die sieht aber zu aus. Verdammt, ich habe seit 5km nichts mehr zu trinken und die Sonne brennt runter.
Eine Autofahrerin hält an, ich frage sie ob es eine andere Wirtschaft gibt. Nein, die hier hat Urlaub, sonst ist hier nichts. Aber sie reicht mir eine Flasche Wasser – Danke!
Glücklicherweise ist in der Ortsmitte noch ein Bäcker, dort kann ich mir noch mehr zum Trinken holen, denn die Halbliterflasche Wasser hatte ich in einem Zug leer. Ich frage nach belegten Semmeln Brötchen, aber die Bäckerin erklärt mir, dass es im Ort keinen Metzger mehr gibt, und sie seitdem nur noch trockenes Brot hat. Also zwei Semmeln mit einer Flasche Kakao zur Stärkung, bevor es zur letzten Prüfung geht, es fehlen noch 100 Höhenmeter, auf 400 Meter über NN muss ich noch hoch.
Als ich endlich das Tal überblicke, in dem mein Auto steht, weiß ich: Ich habe es geschafft, die restlichen 12km sind jetzt nur noch Bonus! 1200 Höhenmeter zeigt die App an, und das mit mindestens 10kg Packtaschen hinten drauf, ich bin mächtig stolz auf mich!
Ach ja, und ab hier ist wieder Thüringen.
Fröhlich summend geht es durch den Wald herab, als sich plötzlich mein Handy verabschiedet. Die China-Klump-Handyhalterung hat sich bei dem ganzen Kopfsteinpflaster aufgewackelt. Jetzt ist aber mal gut mit den ständigen Materialproblemen, verdammt noch mal! Gut, dass ich kein Handy mehr ohne Bumper kaufe, es ist nichts passiert.
Während ich das Handy und die Teile der Halterung aufklaube und versuche alles wieder zusammen zu setzen raschelt es neben mir. Erst vermute ich einen Hund, aber tatsächlich steht da ein Reh und begutachtet, was ich da so treibe.
Leider habe ich nur den verwackelten Schnappschuss, direkt darauf macht sich der junge Hirsch aus dem Staub.
Wenig später erreiche ich nach etwas über 80km Kölleda, und bin sehr froh, wieder auf einem bequemen Autositz zu sitzen!
Auf dem Weg hab ich neben dem Hirsch natürlich noch mehr Tiere und schöne Pflanzen gesehen: