Unterwegs

Immer auf der Suche nach dem noch nicht Gesehenem

Fake News Forever

Wir haben 2 Nächte in einem recht günstigen Wellnesshotel mit Spa gebucht. Ich frage, ob man Fahrräder mieten kann, und erfahre, dass das im Preis inbegriffen ist. Cool, das klingt als ob morgen ein toller Tag wird – es gibt einen "Paseo fluvial", einen Wanderweg am Fluß gleich nebenan, wir können ein bißchen radeln, und danach ins Spa, vielleicht gönnen wir uns eine Massage dazu.

Am nächsten Morgen holt uns die Wirklichkeit ein: Das Spa kostet 19€ pro Nase und man muss ein festes, zweistündiges Zeitfenster vorbuchen. Und was die Fahrräder angeht: Es gibt sieben zur Auswahl, fünf haben überhaupt keine Luft, eines scheint ok zu sein, und ich bekomme ein Rad für einen Jugendlichen. Werkzeug gibt es keines, und der Lenker ist extrem niedrig. Nach 500m erkennen wir, dass es keinen Sinn macht, denn mein Hinterreifen ist auch eher schwammig.

Dann keine Radtour, wir fahren stattdessen nach Santiago de Compostela. Der Endpunkt der Pilgerreisen ist die Kathedrale, und wir fragen uns, warum eigentlich hier, und warum es Jakobsweg heißt. Kurzes Googeln macht uns … ich will nicht sagen klüger. Ich versuche es mal zusammen zu fassen:

Um das Jahr 30 rebelliert in einer der östlichen Provinzen des römischen Imperiums ein Typ, den man heute als kommunistischen Gutmenschen bezeichnen würde, gegen das kapitalistische Schweinesystem mit einem diktatorischem Führer.

Der pazifistische Rebell wird ermordet, seine 12 Mitverschwörer gehen in den Untergrund. Ein paar schreiben Bücher, der Geschäftstüchtigste unter ihnen will nicht arbeitslos werden und erfindet lustige Geschichten um Wiedergeburt, sein ehemaliger Chef wird zum Sohn Gottes befördert.

Ein Dutzend Generationen später, die Nachkommen der kommunistischen Rebellen lesen sich die Briefe und Bücher immer noch regelmässig vor, steht die römische Diktatur am Abgrund. Interne Machtkämpfe, der Kaiser lebt inzwischen im heutigen Istanbul, und Rom steht vor der Revolte. Bevor das Volk rebelliert, muss eine Strategie her, und da fällt ihnen die Büchersammlung der Volksfront von Judäa ein. Die Diktatur lebt weiter, aber jetzt mit einer coolen Story von Nächstenliebe und so.

Es vergehen wieder mehrere hundert Jahre, irgendwann im 7. Jahrhundert fällt irgendjemandem auf, dass einer der Rebellen damals nach der Ermordung des Rädelsführers nach Spanien gereist ist und dort missioniert hat. Wusste bis dahin niemand, aber irgendjemand erinnert sich spontan. Nach einigen Jahren Missionsarbeit, erinnert man sich, kehrte der Rebell namens Jakob um das Jahr 40 nach Jerusalem zurück und wurde dort sofort geköpft. 6 Tage später wurde der Leichnam 4.000 km Richtung Westen an der spanischen Küste bei A Coruña angeschwemmt – er kam wohl mit dem heiligen Außenbordmotor! Jedenfalls wurde er nun irgendwo Unbekanntes begraben und 600 Jahre vergessen. Bis sich eben jemand erinnert, aber nicht daran, wo das Grab wohl ist.

Etwa zur selben Zeit fällt einem Schafhirten auf der arabischen Halbinsel auf, dass die kommunistische Story, die die römischen Dikatatoren legitimiert (inzwischen im Doppelpack, einer in Rom und einer in Konstantinopel) komisch ist und eigentlich doch alle Menschen gut behandelt werden sollten. Dieser Jesus-Typ war ja eigentlich ganz gut, aber der neue Rebell weiß es noch ein klein wenig besser. Vor allem irrte sich Jesus wenn ich es richtig verstanden habe bei der Anzahl Frauen, die ein Mann haben darf.

200 Jahre später haben die neuen antikapitalistischen Rebellen mit der Nachricht von Liebe und Frieden Nord- und Ostafrika sowie den nahen Osten erobert, und auch Spanien ist fast vollständig friedlich von der neuen Sichtweise überzeugt worden.

Die ebenfalls Liebe und Frieden liebenden Nachfolger der Römer in Nordspanien brauchen jetzt eine noch überzeugendere Story. Ein Bischof läuft grübelnd darüber, wie man die Jungs im Süden von seiner Version der Geschichte überzeugen könnte über einen Friedhof. Er ist so in Gedanken versunken, dass er über ein Grab stolpert, und ist baff: Das sind doch ganz offensichtlich die 800 Jahre alten Gebeine seines Kumpel Jakob! Un-miss-ver-ständlich, das sieht jeder sofort, es kann nicht anders sein!

Hier muss eine Kathedrale errichtet werden, und wer hierher wandert – ganz besonders wenn ein besonderes Jahr ist, vermutlich wenn der Aszendent im Globuli-Sternzeichen auf das Grabtuch Christi fällt (hier bin ich mir nicht ganz sicher) – dann wird der Papa des Rebellen aus Bethlehem nicht böse sein, dass jemand in seinem Namen kleine Kinder vergewaltigt.

Ihr merkt, ich habe es noch nicht ganz verstanden, aber googelt es einfach mal, eigentlich ist es ganz logisch. Ein spanischer Diktator aus dem letzten Jahrhundert spielt auch noch eine Rolle, und jedenfalls verdienen jede Menge Leute ganz viel Geld damit. Der Ort Santiago ist eigentlich nur eine Kathedrale, viele Kirchen und noch mehr Läden mit Souvenirs. Wieso die alle aus China kommen, habe ich auch noch nicht verstanden, irgendwo in der Story muss da noch eine Wendung sein, die ich nicht gefunden habe. Vermutlich hat der Kaiser von China auch noch eine Rolle in der Geschichte. Scheinbar ist im Hof der Kathedrale Kommerz auch kein Thema, Jesus fand das nur in Tempeln doof.

Also, nicht ganz so einfach, aber wenn man es mal verstanden hat, dann ist es sicher ganz logisch.

Wir sind also vor der Kathedrale, und ab und zu laufen tatsächlich Pilger vorbei. Bei mehr als 100.000 pro Jahr, die hier ankommen, um sich von den Sünden rein zu wandern auch nicht verwunderlich. Offensichtlich lassen sie auf dem Weg nicht nur Pfunde, sondern auch jede Menge Geld liegen, und so ist hier alles opulent und teuer.

Wir laufen einen Hügel weiter, ich habe das magische Wort "Mirador" auf der Karte gesehen. Tatsächlich hat man von dem Park hier eine schöne Aussicht. Und der Rest des Parks ist auch grün, friedlich und entspannend.

Wir sind überwältigt von so viel Logik und der Geschichte von Liebe und Frieden, und sind uns sicher, dass die Anhänger der beiden antikapitalistischen Lager sich inzwischen geeinigt haben, dass alle ja nur wollen, dass niemand auf dieser Welt leiden muss. Heute, 2000 Jahre später, hat die Macht dieses Gottes sicherlich dazu geführt, dass jeder ihn versteht, seine sehr klaren und verständlichen Regeln befolgt, und Leid und Unrecht verschwunden sind.

Genug Herrlichkeit in Ewigkeit, wir kehren zum Auto zurück.

Und weil ich der Meinung bin, dass Wandern wirklich eine gute Sache ist, wollen wir uns den Flußwanderweg trotzdem anschauen, geht ja auch ohne Fahrrad.

Und tatsächlich: es pilgert sich wunderschön. Rechts und links des Bachs, über jede Menge Brücken, vorbei an Tausenden von Wasserläufern, Enten, Fischen, und mangels anderer Menschen ist es so ruhig und friedlich!

Nur die etwas stärkere Sonne und die anders aussehenden Rinder zeigen uns: das ist gar nicht Bayern! Galicien ist schon sehr ähnlich, es fehlen nur die Alpen. Der Paseo fluvial war definitiv das heutige Highlight.

Dass auf dem Heimweg Gabi fahren muss, liegt dann weder am Sonnenstich (Hut liegt brav im Auto) noch an den getrunkenen Wermutgläsern (schon ausgeschwitzt). Sondern an dem Fußball, der mich vollkommen unverhofft am Ohr trifft und mich deutsche Eiche beinahe fällt. Ein paar Jungs spielen am Straßenrand zurück im Ort, und der Ball fliegt am Tor vorbei. Zielgenau verpasst er mir eine Watschn, dass es sich gewaschen hat!

Wenn also Details der obigen Story unglaubwürdig und unlogisch erscheinen, dann liegt das vermutlich daran, dass in meinem Hirn gerade alles gut durchgeschüttelt ist. Mea culpa!

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