Unterwegs

Immer auf der Suche nach dem noch nicht Gesehenem

Das Beste und das Schlimmste von Indien

Warum will man eigentlich im Urlaub permanent so früh aufstehen? Reisende sind schon irgendwie doof. 4:45 klingelt mein Wecker, denn heute haben wir einen Plan!

Um 5:45 stehen wir bereits am Eingang, und freuen uns, dass wir Online Tickets gekauft haben. Die Schlange ist lange, und wir können einfach vorne einfädeln. Schwein gehabt!

Schnell sind wir durch die Security durch, und laufen durch den Park, durch ein bombastisches Tor, und dahinter erscheint dann das marmorne Mausoleum mit den vier schlanken Türmen. Die Geometrie ist optimal gestaltet: Trotz der vielen Menschen, die ein Foto machen wollen, hat man niemanden im Bild, jeder kommt ohne Hetze zu seinem Bild. Da haben die Konstukteure bereits im 17. Jhdt. an die Selfie-Manie gedacht – genial, oder?

Neben dem Hauptgebäude stehen hier noch ein paar andere Seitengebäude, die als solches schon eine Sehenswürdigkeit wären, aber hier total im Schatten des Taj Mahal untergehen.

Direkt hinter dem Mausoleum fließt der Yamuna-Fluss, der sich flußaufwärts schon durch Delhi gewunden hat, und sich weit östlich von hier in den Ganges mischen wird. Der Morgennebel liegt noch auf dem Wasser, aber so friedlich und ruhig ist es hier nicht: Auf der anderen Flussseite brüllt die Musik der Dussehra-Feier immer noch, und in einer Lautstärke, dass es durch den Wald hindurch immer noch so laut ist, dass man (wäre man des Hindi mächtig) jedes Wort mitsingen könnte. Das Feiern haben die Leute hier echt drauf, und das in der Regel ohne Alkohol!

Es wird heller und heller, und das Mausoleum erscheint in immer schönerer Pracht! Wir laufen auf die andere Seite, wo die Morgensonne das Gebäude frontal beleuchtet und zum Leuchten und Glitzern bringt.

Ein aufdringlicher Guide will uns zeigen, wie man ein tolles Spiegelfoto des Taj macht, und er will 500 Rupees dafür – das sind 6 Euro, und dafür kann ich mit einem Auto eine Stunde durch die Stadt kutschiert werden. Wäre er weniger penetrant gewesen, dann hätte ich ihm vielleicht ein bisschen Geld für den Tipp gegeben, aber wenn mich jemand am Arm packt und rumschiebt, dann verkrampft der Muskel, der die Scheine aus dem Geldbeutel holt.

Wir haben auch eine Karte für das Innere, also gehen wir nochmal um das Gebäude und stellen uns in die Schlange. Von hier oben auf der Plattform sieht man, wie viele Menschen inzwischen hier sind. Und ich muss schmunzeln, wie viele da stehen, und mit Blitz fotografieren. Alle paar Sekunden blitzt ein Funzelblitz irgendwo in der Menge auf das knapp 100 Meter entfernt im vollen Sonnenlicht stehende Taj Mahal.

Das Innere des Mausoleums kann man auslassen, man wird von der Menschenmenge hektisch durch den relativ kleinen Grabraum geschoben. Überall steht, dass man leise sein soll, aber die Guards trillerpfeifen und brüllen in voller Lautstärke. Weder kommt Andacht auf, noch hat man Zeit, genauer hinzusehen.

Draußen ist die Andacht schnell wieder da, und wir genießen noch ein wenig den Park und die anderen Gebäude – und die tieffliegenden Adler, die hier überall in großer Zahl herumfliegen.

Zurück am Eingangstor sind jetzt auch größere Reisegruppen angekommen, unter anderem eine vermutlich koreanische Gruppe. Wir werfen einen letzten Blick auf das moderne Weltwunder, das so wunderschön und imposant ist.

Nach dem Verlassen des Palastgartens sinken die Mundwinkel fast schlagartig – nach der Pracht und dem Glanz des architektonischen Meisterwerks ist man ohne Übergang direkt im Slum. Die Gegend rund um unser Hotel war schon sehr arm und eng, das hier ist zusätzlich total ungepflegt und schmutzig. Das Abwasser fließt am Straßenrand in einem offenen Kanal, man geht Slalom um Kuhfladen und Hundhaufen, die Hunde fressen die Kuhfladen, die Kühe den Plastikmüll. Es gibt einige Restaurants und Straßenverkäufer, aber es ist so gruselig, dass wir hier sicherlich nichts essen wollen. Am Fruchtstand vielleicht eine Banane? Aber hier wimmelt es – ich vermute es sind Wespen – oder doch Fliegen? Jedenfalls sehe ich mehrere, die ihr Hinterteil an die Frucht drücken, als ob sie Eier rein legen. Da vergeht uns jeglicher Appetit.

Wir eilen durch die Siedlung, und erreichen eine große Straße, über die gerade die Metro gebaut wird – Agra erstickt im Verkehr, und man kommt tagsüber kaum noch zum Taj Mahal durch.

Hier ist es so laut, dass man sich nicht mehr selber beim Denken zuhören kann – wegen der Baustelle wird die Straße einspurig, und drei Spuren voller Fahrzeuge wollen alle als Erste durch. Und wer am lautesten hupt, gewinnt.

Hier ist ein Subways, und wir hoffen, dass es dort wenigstens ein bisschen hygienischer ist. Irgendwas muss jetzt rein, wir haben das Abendessen gestern schon ausfallen lassen, und noch nicht gefrühstückt.

Verpflegt geht es wieder ein bisschen besser, und wir rufen Kishan an, ob er uns bitte abholen kann. Während wir warten, kommt eine Gruppe Dussehra-Feiernde durch – es ist eine Mischung aus religiöser Prozession und Loveparade. Ein Lastwagen mit riesigen Boom-Boxen fährt mit 150 dB voran, dahinter tanzt die Menge nach und wirft farbiges Pulver wie an Holi.

Die Menschen haben einen Mordsspaß, und freuen sich, dass wir grinsen und fotografieren und ein bisschen mitgrooven. Eine ältere Dame, die kaum noch laufen kann, will Gabi gleich mit ziehen und mit ihr weitertanzen.

Es dauert locker eine halbe Stunde, bis Kishan es in dem Gewusel zu uns schafft. Unser nächstes Ziel ist etwa 15km weit weg, am anderen Ende der Stadt.

Das Taj Mahal ist ein Must-See, ein Meisterwerk der Architektur, atemberaubend und Ehrfurcht einflößend. Aber wird sind wirklich froh, daß das nicht unser erster Eindruck von Indien war – wir wären vermutlich direkt umgekehrt und wieder heim geflogen. Die Guides sind Touristen-versaut und nervtötend, die Auto-Fahrer ebenso, die Stadt ist nicht nur arm, sondern verwahrlost, schmutzig und stinkend. Wir fühlen uns hier im Gegensatz zu Rajasthan richtig unwohl, und das ist so schade. Indien ist nicht nur das Stadtviertel rund um das Taj Mahal, aber das ist es, was viele Besucher als Eindruck von Indien mitnehmen. Vor allem Geschäftsreisende oder Politiker, die einen kurzen Stopp in Indien machen und das Taj Mahal "mitnehmen", werden glauben, dass Indien überall so ist. Das ist vermutlich der Grund für die vielen Warnungen, die man bekommt, wenn man für einen Urlaub in Indien recherchiert.

Um nicht auf einer depressiven Note zu enden, hier ein Video von der Parade – Ton einschalten:

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