Unterwegs

Immer auf der Suche nach dem noch nicht Gesehenem

Fatehpur Sikri

Beim Verlassen von Rajasthan und dem Eintritt in den Bundesstaat Uttar Pradesh müssen wir als Erstes über einen Grenzposten – es ist eine State Tax fällig. Das erscheint uns ein wenig anachronistisch, aber wir kennen die Hintergründe nicht. Ziemlich schnell ändert sich nicht nur die politische, sondern auch die ökologische Situation: Die Luftqualität sinkt von schlecht auf sehr schlecht. Die Kornkammer Nordindiens ist das Punjab, ein paar hundert Kilometer im Nordwesten. Dort ist es zwar verboten, Pflanzenreste zu verbrennen – aber es passiert dennoch massenhaft. Der Rauch wird vom Wind am Himalajah entlang durch das Ganges-Tal geschoben, dort kommen dann Kohlekraftwerke, Schwerindustrie und die zig Millionen Fahrzeuge vor allem in Delhi dazu.

Seit wir hier sind, rotzen und schniefen wir bereits, aber jetzt wird es richtig eklig. Wie im Los Angeles der 80er Jahre liegt alles permanent in einem Abgas-Nebel, die Sichtweite ist deutlich verkürzt. Widerlich!

Indien hat seit weit über 1000 Jahren mit Invasoren zu kämpfen. Zuerst war es der Druck aus Persien, der mit dem Sultanat von Delhi den Norden der Halbinsel einnahm. Dann kamen ebenfalls über das nordwestliche Tor zwischen Meer und Himalayah immer wieder Angriffe aus der Mongolei. Und schließlich drangen im 16 Jhdt. erneut islamische Angreifer über den Kashmir ein – dieser Kashmir kommt irgendwie nie zur Ruhe!

Der Großmogul Babar eroberte Nordindien, und die Moguln herrschten jetzt über Nordindien, und über die Jahre auch immer weiter in den Süden, fast bis zur Spitze – bis die Briten kamen, und das bereits bröckelnde Reich übernahmen. Äußerst erstaunlich, seit mindestens 1200 Jahren versuchen die Invasoren erst den Islam, und dann das Christentum in die Bevölkerung zu prügeln. Und das Ergebnis: Über 80% der Inder sind nach wie vor Hindus. Hirdesh sieht das natürlich sehr "patriotisch" und als Beweis für die Überlegenheit seines toleranten Glaubens gegenüber den strikten Verbotsreligionen aus dem Westen. Da ist sicher was dran, aber am Ende ist es halt doch nur Religion. Und man sieht es hier noch deutlicher als in Europa, der Konflikt darüber, wie man seine erfundenen Götter der Liebe nennt führt zu Gewalt und Hass. Menschen sind komisch.

Bei den Unterhaltungen mit Guides in den letzten 2 Wochen musste ich immer wieder an "Leben des Brian" denken. Die bösen muslimischen Invasoren, die "Mughal", haben die Inder geknechtet. Aber sie haben auch viel ins Land gebracht, viele der Schlösser, die wir die vergangen Tage gesehen haben, und erst Recht das, was die nächsten Tage kommt, ist alles Pracht aus islamischer Prägung. "Was haben uns die Römer Moguln jemals gebracht?" – "Das Taj Mahal?"

Aber so weit sind wir noch nicht, das kommt morgen. Heute sind wir in der ehemaligen Hauptstadt des Großmogul Akbar I., in Fatehpur Sikri. Gleich nach dem Stadttor müssen wir auf den Parkplatz, und bereits vor dem Stadttor haut ein Motorradfahrer aufs Auto und bringt uns zum Stehen. Er will sich als Guide aufdrängen, ohne ihn müssten wir bis zum Fort laufen. Laufen ist unser kleinstes Problem, und so parkt unser Fahrer Kishan, und wir machen uns zu Fuß auf den Weg. Es ist ein Spießrutenlauf, ich habe zeitweise das Gefühl eine Machete zu brauchen, um uns einen Weg durch die ganzen Guides, Verkäufer und was sie nicht alles wollen zu schlagen.

Nach kurzem Spaziergang kommen wir oben am Fort an, dass imposant über uns thront, und über steile Treppen erreichbar ist.

Nachdem wir unsere Schuhe abgegeben haben, betreten wir durch das Tor die riesige Palastanlage. Während wir noch staunen, hängt schon jemand an uns: "I'm not a guide, I am a museum employee, keep your money in your pocket."

Er erzählt am Anfang schon ein paar interessante Sachen, z.B., dass in den kleinen Pagoden oben an der Mauer früher riesige Kerzen standen, die den Palast erleuchteten.

Aber schon nach wenigen Minuten wird er lästig, look here, click a picture from here, watch your step, let me help you up this step, … – und er ist gut trainiert, höflich lässt er sich nicht abschütteln.

Ich versuche ihn soweit wie möglich zu ignorieren, ohne total unhöflich zu sein. Gabi hat Glück, als Frau ist sie weitgehend Luft für ihn.

Anstatt staunend durch den Palast zu laufen, wie es angemessen wäre, hetzen wir genervt durch die Galerien, in die weißmarmorige Gruft des Mogul, bis ich den Ausweg in die Toilette suche.

Doch als ich wieder heraus komme, packt er mich direkt an der Kurta, und schiebt mich zurück, wo Gabi bereits von seinem Kollegen bearbeitet wird – sie soll einen Steinelefanten für 20 Euro kaufen. Ich habe die Schnauze voll, fingiere einen verdorbenen Magen, und stürme davon. Erst will er mich zurückhalten, auch als ich ihm androhe mich gleich über seine Elefanten zu erbrechen. Dann will er Geld, ich drücke ihm 50 Rupees in die Hand – das findet er empörend, und will jetzt für seine Sammlung Euro-Münzen. Ich drücke ihm einen Euro in die Hand, da will er einen 10 oder 20 Euro Schein. Ich werde immer schneller, bis wir fast rennen, und die bettelnde Zecke hinter uns lassen.

Wie schade, solche Erlebnisse zerstören den Eindruck, den die wunderschöne Architektur eigentlich haben sollte, und hält Touristen davon ab, gerne für einen spannenden Führer zu zahlen.

Aber nun kennen wir auch diese Masche, und fallen nicht erneut drauf rein. Gestresst, aber beeindruckt verlassen wir das beeindruckende Fort, und auf dem Rückweg beginnt die Party. Heute und Morgen ist die Hochzeit des Dussehra-Festivals, und die Jugendlichen fahren mit extrem lauter Musik auf Pferden, Zweirädern, Rikschas und kleinen Lastern die Straße hoch und runter. Offensichtlich haben sie richtig viel Spaß, und sie freuen sich, wenn wir ihnen winken und ein paar Schritte mittanzen.

Bis zum Hotel sind es nur noch 40 Kilometer, also knapp 2 Stunden. Ich bedaure Kishan, der sich durch das absolute Chaos aus Fahrrädern, unzähligen Motorrädern und Karren kämpfen muss. Im Schneckentemp geht es durch immer kleinere Straßen nach Agra rein, ein Dorf, dass unkontrolliert und offensichtlich ungeplant in eine Stadt mit mehr Einwohnern als München gewachsen ist. Ohne jeglichen öffentlichen Nahverkehr (die erste Metro ist aber im Bau), mit wenigen großen Straßen und einer riesigen Innenstadt aus hauptsächlich zweistöckigen Bauten an kleinen Gassen ist der Verkehr komplett kollabiert. Viel schneller als zu Fuß kommt man nicht voran, maximal 10 km/h erreicht man im Schnitt, aber zu Fuß gehen ist praktisch unmöglich, weil die stinkenden Blechmonster im Weg sind.

Wir sind heilfroh, dass wir im Hotel sind, und gehen früh ins Bett. Morgen geht der Wecker um 5:00, wir wollen zum Sonnenaufgang vor dem Taj Mahal stehen!

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