Der heutige Tag wird der schwierigste, das war von Anfang an klar: 23 Kilometer ohne Straßen oder Orte – vereinzelt ein paar einzelne Häuser, zu denen Pisten führen. Aber keine Strandbar für den Mittag; kein Laden, wenn Wasser alle. Und im Notfall ist Hilfe rufen schwierig – es ist unklar, wo Netz sein wird.
Aber: Es geht der offizielle Wanderweg der Junta de Andalusía hier entlang, und die letzten Tage waren wir ja auch oft nicht alleine – irgendein Jogger oder Biker kommt früher oder später bestimmt vorbei.
Wie auch immer, es wird sicher kein Luxus-Wandern wie die anderen Tage. Und darum sagt mein Wegbegleiter sinnvollerweise: "Ich nicht" – der Fuß ist noch Aua, und wenn das schlimmer wird, kann nicht das rote Auto kommen und ihn abholen.
Also breche ich alleine auf, mit drei dicken Stullen und 2,5 Litern Flüssiges. Das sollte reichen, schließlich ist der Wetterbericht für heute wieder auf Regen und Nebel.
Nach einem Kilometer bin ich kurz davor umzukehren: Der Weg endet an einem Haus und geht als Trampelpfad weiter. 20 Zentimeter breit, und teilweise abgebrochen, mit über 5 Metern Abhang zum Meer runter. Nach der Mauer geht es steil bergab zum Wasser, und es ist feucht und glibschig – das ist mir zu gefährlich.
Ich konsultiere die Karte: Der Weg wäre vor 500 Metern schon links abgegangen, ich bin falsch. Zurück an der Gabelung dann entdecke ich halb im Gras versteckt die Markierung, die in die als Sackgasse markierte Straße zeigt.
Dieser Weg ist viel besser, also jetzt mit Elan voran.
Doch schon bald wird der Weg abenteuerlich, über Felsen, ausgewaschen durch Regen, und man muss sich sehr konzentrieren, dass man nicht ausrutscht oder der Boden unter den Füßen wegbricht.
Trotzdem komme ich gut voran, und der gelegentliche Nieselschauer tut nicht weh. Einmal regnet es kurz heftiger, aber just da führt der Weg an einem Wachhäuschen der Armee vorbei, und ich kann mich unterstellen. Moment: Wachhäuschen der Armee? Ja, der Weg – geplant von der Regierung der autonomen Region Andalusien – führt durch militärisches Sperrgebiet, und da steht auf beiden Seiten ein Schild, dass das Betreten verbietet. Das soll man verstehen? Aber gut, es gibt außer Umdrehen keine Alternative, sie werden mich schon nicht erschießen.
Passend dazu sehe ich dann das Schiff der spanischen Linie "Armas" vorbeifahren. Armas ist spanisch für Waffen.
Der Horizont scheint giftig gelb, die Wetterlage scheint die Abgase der Schiffe nicht aufsteigen zu lassen – vielleicht hat die Farbe auch andere Gründe, aber die schlaue KI sagt mir, dass die Schiffe, die täglich durch die Meerenge fahren, so viel CO2 ausstoßen, wie mehrere 10.000 Autos und aufgrund der fehlenden Abgasreinigung und der schlechten Qualität von Schiffsdiesel so viel Schwefeloxide und Stickoxide wie mehr als eine Million Autos aus den Zeiten vor der Einführung des Katalysators. Die Luftqualität hier ist in dem Hafen Algeciras teilweise deutlich schlechter als in der als Stinker bekannten Stadt Madrid.
Zur spanischen Mittagszeit erreiche ich nach etwa 10 Kilometern erst einen schönen "lost place" und dann den 1588 erbauten Torre de Guadalmesí, der der Erspähung von Piraten diente. Hier ist eine Bank, ideal für mein Picknick.
Nach einer Viertelstunde Pause geht es weiter, die Dritte meiner 5 Flaschen ist schon halb leer, aber ich habe noch 2 meiner 3 Boccadillas (Semmeln). Gleich nach dem Torre sind ein paar Häuser, und hier treffe ich die zweite Person seitdem ich aufgebrochen bin: Bei Tarifa war ein Jogger unterwegs, und hier kommt gerade einer der Bewohner im Allrad-SUV an. Das trifft sich bestens, denn hier geht eine Furt durch den Bach, und es geht nicht einfach drüber – die Steine sind alle kippelig. Der nette Kerl fährt mich in seinem Auto auf die andere Seite, und so kann ich trockenen Fußes weiter.
Das war es jetzt leider endgültig mit guten Wegen, jetzt wird es wirklich gefährlich. Mal geht es steil bergab, ohne Möglichkeit sich festzuhalten und mit rutschigem Untergrund. Dann geht es über Kieselstrand mit vielen kippeligen Steinen, oder alternativ über mit Algen bedeckte Riffs. Ich laufe sehr vorsichtig, wenn ich mir jetzt den Knöchel breche, dann wird es kritisch. Ich will nicht enden wie die Kuh am Wegesrand oder das Boot in den Klippen.
Aber immer wieder steht ein Markierungspfosten: Ich bin noch auf dem offiziellen Wanderweg. Auf einer Klippe steht ein weiterer Lost Place, kurz davor ein Wegweiser in einem Berg aus Müll: 11 Kilometer geschafft, noch 15 vor mir – tatsächlich nur 12, weil die letzten Kilometer im Ort sind, und am Ortsbeginn mein Begleittrupp warten will.
Hinter der Klippe geht es einen weiten Schlenker ins Landesinnere, davor geht es erneut über eine Furt, aber nur ein Socken wird nass.
Das ist trotz der Jahreszeit keine Faschingsmaske, sondern vermutlich ein Hüftknochen einer Kuh. Das ist vermutlich eine Warnung, denn jetzt geht es 3 Kilometer steil bergauf, rechts und links stacheliges Gestrüpp, der Weg schlammig, mit Tendenz zum Schuhe ausziehen. Nach einer anstrengenden halben Stunde sind meine letzten Getränkevorräte leer, und ich stehe weit über dem Meer. Wenigstens hört es hier oben auf zu regnen, dafür ist die Luft aber so feucht, dass ich meine Brille in die Tasche stecke.
Es wird jetzt deutlich flacher, aber dafür noch matschiger: Hier auf dem Pfad laufen hauptsächlich Kühe und Ziegen, und die haben viel Matschepampe hinterlassen. Eigentlich hätte ich rechts abbiegen sollen, aber dort, wo das GPS den Weg anzeigt, ist dichtes Gestrüpp und es geht 2 Meter in einen Abbruchgraben. Ich wäre aber ohnehin gerade weitergegangen, denn ohne Wasser sind weitere 10 Kilometer schwerer Strecke nicht klug. Somit folge ich der Piste Richtung Landstraße, in etwa vier Kilometern sollte ich dort sein. Auf dem Weg komme ich an einen Stacheldrahtzaun mit Schild "privates Jagdgebiet" – interessant, wo die Regierung ihre offiziellen Wanderwege durchführt. Ich werde aber weder vom Militär noch von einem Jäger erschossen, und behalte meine Schuhe an – wenn auch mit dickem Matschrand.
Nach 6,5h Wanderung plingt mein Handy – der Begleittrupp steht auf dem Feldweg vor mir und fragt, ob ich mitgenommen werden will! Kurz darauf sehe ich das rote Auto und nach weiteren 15 Minuten sitze ich im Trockenen.
17 Kilometer und 950 Höhenmeter waren die letzte Etappe – meine Knöchel glühen, ich habe tierisch Durst, aber ich bin noch nicht am Ende meiner Kräfte. Ich bin mir sicher, ich hätte noch weitere 10 Kilometer geschafft – wenn auch ungern so steil wie der letzte Weg hier hoch. Trotzdem beschließe ich, dass es den Rest nach Gibraltar mit dem Auto geht. Hier am Kap ist der Weg zu gefährlich, und um die Bucht von Algeciras geht es über Straßen und am Hafen entlang, das ist nicht wirklich schön.
Ich kann den Abschnitt ab Tarifa niemandem empfehlen, das ist gefährlich und es gibt immer wieder längere Strecken ohne Netz. Glücklicherweise habe ich mich nicht verletzt, das wäre zwar vermutlich nicht lebensgefährlich gewesen, weil ich die Route geteilt habe und mein Begleittrupp Rettung geschickt hätte, wenn ich nicht rechtzeitig angekommen wäre. Besonders klug war es aber nicht – dafür geil 😀
Beim Hotel gibt es eine Bar, dort trinke ich noch 2 Sieger-Vermuth, aber Abendessen lasse ich ausfallen und gehe früh ins Bett. Morgen verlassen wir Europa, und gehen ins UK zu den Affen.