Als wir auf der Fahrt von den Blue Mountains das erste Fitnessstudio sehen, da wissen wir: Die urbane "Zivilisation" hat uns endgültig wieder! Und tatsächlich, bereits auf dem Weg vom Campingplatz zur U-Bahn in die Stadt wird klar: Hier wird das Geld nicht mehr mit körperlicher Arbeit verdient, die Fitness muss vor und nach der Arbeit nachgeholt werden. Ich fühle mich wie in Venice Beach: Lauter durchtrainierte Jogger. In der Innenstadt wird das noch deutlicher, hier geht kaum jemand normal, alles rennt und joggt und im Park wird Yoga gemacht. Sogar neben den acht Fahrspuren der Harbour Bridge saugen die Leute die Abgase mit voll geöffneten Lungenblasen ein.
Wir beginnen die Erkundung in Barangaroo am Westufer der Innenstadt. Ursprünglich war hier alles Hafen, inzwischen wird das wie die Hamburger Hafencity Stück für Stück in Business- und Flanierviertel umgebaut. Und das scheint sehr erfolgreich zu sein, optisch ansprechend und gut besucht zeigt sich das neue Barangaroo.
Durch die Baustelle des nächsten Bausabschnitts wandern wir das Ufer entlang um die Innenstadt herum, und wir sind nicht allein. Überall in der nördlichen CBD (Central Business District – Inenstadt) sind Schülergruppen unterwegs, offensichtlich ist heute Wandertag, und die Schulen machen eine Stadtquiz-Schnitzeljagd.
Die Aussicht vom Ufer über den Hafen – Sydney liegt am größten Naturhafen der Welt – ist grandios. Die Mündung des Parramatta River sieht von oben aus wie ein Stausee mit vielen, verästelten Nebenarmen, und endet im Osten nach 19km statt mit Staumauer mit dem Pazifik. Sydney CBD mit seinem Opernhaus liegt am Südufer vor einer besonders breiten Ausbuchtung des Hafens, zum offenen Ozean aber durch eine Halbinsel geschützt. Schier endlose Küstenkilometer sind außerhalb der Innenstadt mit prächtigen Villen mit eigenem Bootsanlegeplatz gesäumt, viel Raum um Kapital in Immobilien zu investieren.
Kurz vor der Harbour Bridge sind noch einige alte Piers, die erhalten geblieben sind und nun teils als Gewerbehallen, teils als Restaurant, Cafe und Läden genutzt werden. Oder alles zusammen, wie die BarCycle – ein lustiges Konzept. Schnell ein Wein und einen Pie, während das Rad repariert wird.
Die Harbour Bridge ist natürlich gigantisch und ehrfurchtseinflößend! So viel Stahl, fast vollständig in Schottland (!) gefertigt und hierher verschifft, und alles ohne CAD-Programm und Rechenknecht entworfen. Eine Meisterleistung, die die Fähigkeit der Menschen, ihre Kreativität konstruktiv auszuleben mal wieder deutlich macht. Nicht alles, was wir erschaffen dient der Zerstörung – gerade in politisch turbulenten Zeiten wie jetzt vielleicht etwas, worüber man mehr reden sollte?
Und nun erscheint endlich auch das Wahrzeichen der Stadt, der jüngeren Generation aus "Findet Nemo" bekannt – das Opernhaus, dessen Form natürlich Wellen symbolisiert, und das in Natura auch fast so schön ist, wie man es aus Filmen kennt. Das Dach ist ein wenig angegilbt, ansonsten liegt das Bauwerk in voller Pracht auf dem Landvorsprung.
Direkt daneben liegt ein Riese vor Anker: Die Voyager of the Seas, ein über 300m langes Kreuzfahrtschiff, das von Sydney aus die Südsee nach Fiji durchkreuzt. Das Schiff ist mit seinen Schwesterschiffen auf Platz 2 der Kreuzfahrtschiffe, nur die Queen Mary 2 ist noch größer.
Wir pausieren im Viertel unterhalb und neben der Brücke (The Rocks), aber können den Reiz dieses angeblichen Kultviertels nicht finden. Auch das Essen ist teurer Touristenfraß. Dafür sehen wir das erste Mal die größten gefiederten Einwohner der Stadt, die Ibisse, die hier in großen Zahlen mitten in der Stadt leben.
Es geht ins Herz der Stadt in die Schluchten der Hochhäuser, und viel erinnert mich an den Financial District von San Fransisco, nur in sauber und aufgeräumt. Allgemein fällt auf, dass Sydney extrem vorzeigbar ist. Es liegt kaum Müll herum, alles ist neu oder renoviert, Armut findet praktisch nicht statt. Während in SF die Bettler zahlenmässig mit den Tauben konkurrieren, sehen wir in Sydney genau drei Stück.
Und dennoch, es wirkt, als wandern wir vor einer Armani & Dior-Fassade – Luxusboutiquen, schicke Cafés und teure Autos überall. Irgendwo muss es doch auch "normale" Menschen geben? Schließlich wohnen in dieser Stadt über 20% der australischen Bevölkerung, die können doch nicht alle Designerklamotten tragen?
Aber auch bei der Fahrt durch die Stadt entdecken wir keine Gegenden, in der die untere Mittelschicht und die einfachen Leute leben. Irgendwas haben wir verpasst!
Wir laufen kreuz und quer weiter zum Sydney Tower, dem Fernsehturm und höchsten Gebäude der Stadt. Von hier oben sehen wir bereits dicke Wolken auf die Stadt zutreiben, und da der Wind unverändert beinahe Sturmstärke hat, geht das schnell. Leider ist deshalb auch die Plattform gesperrt, wir können also nur durch Glas auf die Stadt herab blicken.
Am Abend soll eine Lichtshow auf die Oper projeziert werden, wir vermuten, dass die Sicht vom Ufer gegenüber gut wäre. Und somit machen wir uns auf den langen Weg dorthin, einmal quer über die Bucht. Praktischerweise kann man die Harbour Bridge auch als Fußgänger nutzen, und die Aussicht gibt es gratis dazu.
Diesen Park haben wir uns als Ziel auserkoren, von dort hat man eine schöne Sicht. Dummerweise stellt sich dann dort heraus, dass wir nicht erwünscht sind – der Park gehört zum Wohnhaus des australischen Premierministers, und die Damen der High Society versammeln sich bereits vor dem Haus, scheinbar ist hier heute ein Empfang. Und wir stehen nicht auf der Gästeliste – Frechheit!
Wir finden dennoch einen guten Platz, aber um 5:45, zum auf einer Webseite gelisteten Zeitpunkt passiert – nichts. Die Webseite war veraltet, es geht erst um halb Acht los. Solange wollen wir nicht warten, besonders da es bereits zu tröpfeln beginnt und kalt wird.
Auf dem Rückweg zur U-Bahn entdecken wir noch diese schönen Häuschen, und dann steigen wir am Ende der Harbour Bridge in den Zug und kehren zum Campingplatz zurück.
Als wir am Campingplatz ankommen sind wir bereits nass geworden, und bald darauf fängt es an, richtig heftig zu regnen. Laut Wetterbericht soll das auch mindestens vier Tage anhalten, und als es am Morgen immer noch mit dicken Tropfen regnet, beschließen wir schleunigst den Weg Richtung Äquator anzutreten.
Den ganzen Tag geht es – mit Ausnahme eines spontanen 100km-Umweges über eine kurvige Landstrasse – einige Kilometer vom Meer entfernt durch dichten Wald und dichten Tropenregen sehr eintönig Richtung Norden – mitunter im Schneckentempo, weil die Scheibenwischer das Wasser nicht schnell genug von der Scheibe schieben können.
Nach über 10 Stunden Fahrt und 650km weiter schlafen wir im prasselnden Regen auf einer lauten Autobahnraststätte am Highway – ohne die Sonne heute ein einziges Mal gesehen zu haben.
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