Unterwegs

Immer auf der Suche nach dem noch nicht Gesehenem

La Najarra

Wir wollen mal wieder in die Berge. Aber wohin? Ich bin unschlüssig, und schaue vom Balkon aus durch mein Tele. Da, hinter den niedrigen, aber zerklüfteten Yelmo, da sieht es nett aus:

40km sind das Luftlinie, aber wir fahren trotzdem über eine Stunde. Von rechts hinten kommt man über die Rückseite dort rauf. Der Parkplatz hat selbst schon eine nette Aussicht:

Der Wanderweg geht schräg die Bergflanke entlang stetig nach oben, und nicht nur Wanderer sind hier unterwegs, auch die Geier scheinen hier eine "Einflugschneise" zu haben. Immer auf der gleichen Linie fast direkt über dem Weg sausen die Vögel dicht über unsere Köpfe hinweg.

An einer Stelle scheint mal eine sehr stabil gemauerte Brücke gewesen zu sein. Sie sieht nicht so aus, als wäre sie freiwillig zerstört worden, eventuell ein Opfer des Bürgerkriegs?

Je höher wir kommen, desto besser ist die Aussicht über die Hochebene. Hier war ich auf einer meiner ersten Wanderungen in der damals noch sehr neuen Heimat, wir sind in die Schlucht zum Arroyo Aguilón herabgestiegen. Ganz hinten im Tal liegt das schöne Dorf Rascafria.

Am Berghang gegenüber sieht man gut wie mit einem Lineal gezogen die Laubbaum- und dann die Baumgrenze.

An den Bäumen haben Spinnen seidene Zapfen gebaut, aus der Entfernung sieht es aus als wäre das geschmückte Weihnachtsbäume.

Gegenüber ist dann auch der Peñalara, mit fast 2500m der höchste Berg der Guadarrama.

Unser erstes Zwischenziel ist das Erreichen des Grates. Hier brechen einige Granitfelsen durch die sonst eher glatte, mit Sträuchern gewachsene Flanke. Daneben geht es über eine flache Kuppe auf die andere Seite, und das Überschreiten derselben ist ein echter Wow!-Moment!

Vor uns breitet sich die Ebene aus. Das Wow bekommt einen Dämpfer, als wir genau hin sehen: Der Schleier über der Ebene st ganz schön braun, jetzt da es Nachts schon recht kühl wird, heizen die Menschen wieder. Das geschieht hier fast immer mit individuellen Gasboilern, und die haben naturgemäß keine teuren Katalysatoren. Letzten Winter war das aufgrund der extremen Kälte wirklich übel. Ich denke, dass die relativ windstille Hochdruck-Wetterlage aktuell dazu führt, dass der Dreck dort bleibt, wo er produziert wird.

Angesichts des Klimawandels wäre das neben der Reduktion des Autoverkehrs ein Kernthema für die Regierung hier.

Es überwiegt trotzdem die Faszination der Aussicht, sowohl nach oben zu den Geiern wie nach unten.

Links hinter dem Manzanares-Stausee ist das Gefängnis "Madrid V" zu sehen.

Wir sind noch nicht am Ziel, aktuell auf 1980m haben wir noch 140 Höhenmeter vor uns. Nach einer Stärkung geht es also am Grat entlang weiter hoch, praktisch wieder zurück Richtung Auto, nur höher.

Im Schatten des Granitkopfes geht es recht schwierig voran, es gibt keinen Weg mehr, sondern nur Ziegenpfade. Und im Schatten Eis und Schnee.

Vor mir läuft eine Gruppe aus zwei Pärchen Mitte 50. Das eine Paar redet gar nicht, es kommt auch nicht zu Wort. Erst redet der Mann des anderen Paares ununterbrochen, er mansplained seiner Frau den Weg. Tritt hier hin, pass da auf, hier musst Du einen "paso grande", einen großen Schritt machen, hier aufpassen. Sie hat keine Lust, und irgendwann ergreift sie auch das Wort, und mault in einer Tour über den "puto camino" – den "Drecksweg". Und als ich gerade an den sehr langsamen, schlecht gelaunten Wanderern vorbei klettere, explodiert sie: "Was glaubst Du, wer ich bin? ¿Tu puta cabra?". Deine Scheiß Ziege? Bis wir sie am Gipfel aus den Ohren verlieren, keifen sich die Beiden ununterbrochen an. Ein Traumpaar!

Danach wird der Weg wieder einfacher, und wir erreichen den nächsten Zwischengipfel mit einem verlassenen Berghüttchen.

Von hier sieht man unten die Bahnstrecke von Madrid nach Burgos. Sie verschwindet hier im Tunnel und kommt erst 28km weiter bei Segovia wieder an die Oberfläche. Der Tunnel liegt direkt unter dem Gipfel des Najarra, und von dort ganz nah am Peñalara-Gipfel vorbei, mit mindestens 1500m Granit über sich.

Es geht nun ziemlich flach weiter bis zum Gipfel des "La Najarra" auf 2120m. Von hier hat man eine sehr weite Sicht, über den Dunstschleier hinweg sieht man 150km weit entfernte Berge des Cabañeros-Nationalparks in der Provinz Toledo. Die Peakfinder-App ist echt cool!

Die von oder nach Madrid fliegenden Flugzeuge fliegen nun sehr nahe über uns hinweg, aber es gibt natürlich auch höher fliegende. Der Kondensstreifen dieses Flugzeugs wirft einen Schatten auf den Himmel, das sieht man auch nicht jeden Tag.

Der Blick auf die den weiteren Weg macht mich nervös, statt fast 6km auf dem Hinweg ist der Rückweg nur 2km lang. Trotz des abgebrochenen Mathestudiums ist mir klar: Das wird steil. Und erneut ist der Weg nur auf der Karte vorhanden. Zwischendrin gibt es hier oder da einen Ziegenweg, aber auch die gehen mal hier, mal da lang. Es wird ein Hindernislauf um die unzählbare vielen Felsen und die Büsche dazwischen.

Wir müssen runter zu dem großen Felsen, links vorbei und danach rechts halten.

Apropos Ziegenweg, wie komme ich darauf, dass die Ziegen die Wege vorgeben? Einerseits, weil auf der Karte hier in der Nähe ein "Senda de las cabras" eingezeichnet ist, und andererseits darum:

Leider kommen wir nicht näher ran, oder vielleicht auf gut so, der Steinbock auf dem letzten Bild kuckt so böse!

Wir klettern also den steilen Berg runter, einmal lande ich im Busch, weil der vermeintliche Stein dort in der Spalte zwischen Fels und Gebüsch nur ein Schatten war. Und damit ist den Bann gebrochen, alle Beide rutschen wir immer wieder aus, auf kippligen Steinen, Eisplatten oder einfach aus Ungeschicklichkeit (Das gilt natürlich nur für mich, nicht für die Beste aller Ehefrauen!). Die Frau vorhin hatte nicht unrecht: Puto Camino!

Endlich sehen wir die verfallene Brücke vom Hinweg, und von da ist es nur noch ein Katzensprung zurück zur Straße. Wir sind froh wieder heil unten zu sein, aber noch mehr begeistert von dem tollen Ausflug!

Ich liebe diese Berge, und ich bin absolut begeistert davon, dass man hier im November kurzärmlig auf 2100m steigen kann. Zugegebenermaßen war es ganz oben am Najarra im Wind schon ein wenig frostig, aber nur ein paar Meter tiefer war es auch wieder gut. Ich fürchte aber, dass war die letzte Wanderung ohne Jacke für dieses Jahr.

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